Lehren aus der Krise

©Sabine Fischer

Auch wenn Krisen schmerzliche Opfer fordern, bergen sie auch Chancen für fruchtbare Veränderungen. Die Corona-Pandemie zwingt uns zum Innehalten, erinnert an die Zerbrechlichkeit des eigenen Lebens und offenbart die Unhaltbarkeit des neoliberalen Wirtschaftssystems. Gleichzeitig setzt sie ungeahnte Kräfte des Zusammenhalts und der Hilfsbereitschaft frei – von Einzelpersonen bis zur Weltgemeinschaft. Plötzlich ist mehr Fürsorge, Wertschätzung und Liebe unter uns. Diese Erfahrungen sind überlebenswichtig, wir sollten sie als bewährten Teil unserer Kultur bewusster pflegen. 

Die Entschleunigung in Beruf und Freizeit, der drastisch verminderte Verkehr am Boden und in der Luft sind eine Wohltat für Mensch und Mitwelt. Jetzt bekommt Gemeinwohl einen höheren Stellenwert als Leistung und Profit. Solidarität ist eher gefragt als Wettbewerb. Wir haben mehr Zeit für uns, unsere Angehörigen und die Natur um uns. Regionale Versorgung erweist sich als verlässlicher als Globalisierung um jeden Preis. Pflege- und Reinigungskräfte sind nötiger als Börsenmakler. Materieller Reichtum ist nicht so wichtig wie gute Nachbarn oder ein Gemüsegarten. 

Die Menschheit leistet Beeindruckendes zur Eindämmung der Pandemie. Mit vergleichbaren Anstrengungen könnten wir die Wirtschaft gerechter und zukunftstauglich gestalten, dem Artensterben und Klimawandel wirksam begegnen. Denn langfristig sind dies ungleich schwerere Bedrohungen unserer Zivilisation. Wir können die einschneidende Notbremsung vieler Bereiche nützen, um über den Sinn des Lebens nachzudenken, die Aufgaben der Wirtschaft zu hinterfragen, dringende Korrekturen anzugehen und einzufordern. Wir erleben gerade, was möglich ist – wenn wir nur wollen. 

Werner Gamerith, März 2020